Das erste Mal bin ich unterwegs eine Familie einen kompletten Tag fotografisch und dokumentarisch zu begleiten. Meinem Aufruf waren vielen Familien gefolgt und jetzt steht der erste Einsatz bevor. Ich bin immer einen Tag eher vor Ort um die Familie und die Kinder kennenzulernen, bevor ich zum Beobachter werde. Ich werde mit großen Hallo begrüsst und lerne auch gleich alle Familienmitglieder kennen. Drei Jungs - wow - das ist bestimmt nicht einfach. Ich kenne das schon mit meinen beiden Raubauken und ich kenn auch das Chaos was entsteht wenn beide mal loslegen. Wir unterhalten uns eine ganze Weile und dann geht es schons ins Bett. Dann ist es soweit. Samstag früh. Im Dunkeln aufstehen - Kamera bereit - Speicherkarten ebenfalls und los geht es. Aber schaut selbst ...
Ein kalter und windiger Tag Ende Oktober. Herbststimmung. Ich sitze im Auto,
auf dem Weg nach Finsterwalde. Meine Gedanken kreisen um das Shooting. Es
wird ein ganz besonderes Fotoshooting. Ich werde einige Stunden eine mir
fremde Familie fotografisch begleiten, eine Familie, die das letzte Jahr vor eine
immense Herausforderung gestellt wurde. Was wird mich erwarten? Welche
Bilder werde ich mit nach Hause nehmen?
Als ich im Juli die Anfrage von Julia Rose-Greim und Olga Slach erhielt und auf
die Website „Memories for Families“ aufmerksam wurde, habe ich lange
überlegt. Schaffe ich das? Wie kann ich Betroffene, ihre Kinder und ihre Partner
authentisch wie möglich in ihrem Alltag ins Bild setzen, um eine Erinnerung zu
schaffen für sie selbst und ihre Familien, eine Erinnerung für die Zeit, wo das
Leben plötzlich Kopf stand, wo nichts mehr so war wie vorher. Würde ich das
selbst emotional verkraften? Zwei Monate später stand meine Entscheidung
fest: ich werde zusagen. Ich möchte diesen Familien etwas geben,
Erinnerungen im Bildformat.
In Finsterwalde angekommen, werde ich herzlich durch Madeleine, Enrico und
ihre beiden Kinder Keanu und Anna Charlott begrüßt. Ich fühle mich sofort
wohl und werde vom ersten Augenblick an in das samstägliche Familienleben
einbezogen. Kaum die Kamera ausgepackt, bieten sich mir jede Menge
alltäglicher Momente, die ich dokumentarisch festhalte. Anna Charlott beim
Keyboard spielen, Enrico und Keanu rechen das heruntergefallene Laub im
Garten zusammen, die ganze Familie geht mit ihrer alten und beinahe blinden
Hündin Cimba spazieren, auch die innigen Momente zwischen Madeleine und
Enrico halte ich fest. Nach dem Spaziergang versammelt sich die ganze Familie
am Tisch für eine Partie Mastermine, bei der Keanu in nur zwei Zügen
gewinnt.
Nach dem Mittagessen, zu dem ich eingeladen werde, möchte Madeleine sich
ohne Perücke zeigen. Durch die Chemotherapie ist ihr das Haar ausgefallen und
wächst nun langsam wieder nach. Das ist für mich einer der privatesten
Momente bei diesem Shooting und zeugt von Souveränität und Kraft
Madeleines und von Hoffnung und dem Wissen, dass es aufwärtsgeht.
Anschließend sitze ich mit der Familie auf dem Sofa und wir unterhalten uns
während ich noch immer Fotos mache von diesem Samstagnachmittag.
Später fahre ich nach Hause mit einer vollen Speicherkarte und jeder Menge
Impressionen und Emotionen im Kopf. Ich bin dankbar, dass ich diese tolle
Familie fotografisch begleiten durfte und spüren konnte, wieviel Kraft in den
vieren steckt, wieviel Mut Anna Charlott, Keanu und Enrico ihrer Mama und
Frau geben, wieder gesund zu werden. Ein Satz von Madeleine hallt immer
noch in mir nach: Genießt das Leben und seid einfach nur froh, gesund zu sein.
Ich freue mich Euch mitteilen zu können, dass ich ab sofort Mitglied der Initiative "Memories for Families" bin.
Worum geht es? Ein Zitat von der Homepage:
Wir sind eine Initiative von ehrenamtlichen Profi- Fotografen, die Familien mit krebskranken Eltern kostenlos fotografisch begleiten. Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, für die betroffenen Familien einzigartige Momente einzufangen, um diese zu wundervollen gemeinsamen Erinnerungen werden zu lassen, die Jahre überdauern.